Lieber Leserinnen, liebe Leser,

Der bekannteste theologische Ausspruch des 20. Jahrhunderts stammt ohne Zweifel von dem großen katholischen Karl Rahner und lautet: Der Christ der Zukunft wird Mystiker sein, oder er wird nicht mehr sein! Wenn man diese bemerkenswerte Aussage auf die Situation des Christentums in seiner aktuellen Krise anwendet, dann versucht sie anzudeuten, dass ein zukünftiges Christentum nur dann eine Perspektive hat, wenn es sich auf seine geistigen Wurzeln besinnt.

Nur moralische Anleitungen anzuhören, wird niemanden mehr in die Kirche locken. Die suchenden Menschen des 21. Jahrhunderts erwarten Antworten auf die großen Lebensfragen: Wo komme ich her? Wo gehe ich hin? Bei diesen Fragen geht es immer um eine transzendentale Dimension. Mit Kirchenpolitik gibt sich heute ein suchender Christ nicht mehr zufrieden.

Das hat Karl Rahner vorausgeahnt und deshalb wurde die Mystik in den Mittelpunkt eines zukünftigen Christentums gerückt. Das Buch von Sherrard ist gewissenmaßen der Versuch, Rahners Perspektive mit Inhalt zu füllen.

Als bereits bekannter Autor zieht sich Philipp Sherrard eines Tages in eine kleine abgelegene Werkstatt zurück, um dort zu meditieren und zu schreiben. Er taucht tief in seine eigene spirituelle Tradition – das orthodoxe mystische Christentum – ein. So holt er diese Schätze wieder ans Tageslicht. Es entsteht Schritt für Schritt ein kostbares Gewebe christlicher Weisheit, das seinesgleichen in der abendländischen Literatur sucht.

Dieses Buch ist sicher keine leichte Lektüre – es muss gewissermaßen Kapitel für Kapitel ermeditiert werden. Doch die Mühe lohnt sich; denn es offenbart eine Tiefe des Christlichen, die in den vergangenen beiden Jahrhunderten in Vergessenheit geraten ist und in der Gegenwart unter zahlreichen Skandalen verschüttet wurde.

Sherrards Verdienst besteht darin, die großen Mysterien neu zum Vorschein gebracht zu haben, die an die Wurzel der christlichen Überlieferung reichen. Dadurch überwindet er auch den großen Abgrund zwischen dem Christentum und der Natur, der seit dem 16. Jahrhundert immer tiefer geworden ist. Er belegt, dass es für das mystische Christentum keinen Bruch zwischen den Geschöpfen und der Schöpfung gibt; denn alles was lebt, ist heilig. So könnten in einem mystischen Christentum der Zukunft Pflanzen und Elfen wieder gemeinsam eine Heimat finden.

Dieses Buch wird die Diskussion in den abendländischen Gesellschaften für viele Jahrzehnte nachhaltig prägen. Ich empfehle Ihnen dieses wahre spirituelle Juwel.

Ihr Peter Michel